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Stellungnahme zum Beitrag vom 05.01.2015

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Mein Aufruf zur Überarbeitung des neuen Schwerbehindertenausweises vom 5. Januar 2015 brachte viele Reaktionen hervor. Gut anderthalb Stunden nach der Veröffentlichung hier auf meinem Blog, auf meiner Facebook-Seite Ungebremster Redeschwall, auf meinem Twitter-Account @HappyZwitschert sowie in einigen Facebook-Gruppen für Menschen mit Behinderung hatten mich bereits über 280 Nachrichten, Kommentare, Tweets und E-Mails erreicht, inklusive der Anzahl von Leuten, die den Beitrag auf Facebook & Twitter geteilt, mit „Gefällt mir“ markiert oder als Link weiter verbreitet haben. Danach habe ich, überrollt von der Flut der Reaktionen, aufgehört zu zählen.

Viele der Rückmeldungen enthielten Zuspruch. Dafür möchte ich mich bei allen von ganzem Herzen bedanken!

Sehr viele Rückmeldungen drückten aber auch Unverständnis oder Protest gegen meinen Aufruf aus.

Weiterhin stehe ich dazu: Ich bin offen für die Debatte zum Thema.

Das bedeutet, jeder kann seine Meinung zum Thema frei äußern, sie ebenfalls zu Debatte stellen. Egal, ob man sich meiner persönlichen Sicht anschließt, ob man diese durch eigene Gedanken ergänzen möchte oder ob man sie ablehnt.

Glücklicherweise ist dies hier, in Deutschland, möglich. Es gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Hinter diesem wichtigen, demokratischen Recht stehe ich voll und ganz.

Das heißt für mich: Ich gewähre das Recht auf freie Meinungsäußerung jedem, der mit mir kommuniziert. Egal, ob derjenige im persönlichen Gespräch mit mir kommuniziert, über den Postweg oder über digitale Kommunikationsmöglichkeiten.
Das heißt für mich jedoch auch, dass ich selbst dieses Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen kann, wenn ich das Bedürfnis dazu habe. Im persönlichen Gespräch, auf dem Postweg oder über digitale Kommunikationsmöglichkeiten.

Einige der Menschen, die auf meinen Blogbeitrag reagiert haben, sind in ihren Reaktionen so weit gegangen zu fordern, dass man mir mein Recht auf freie Meinungsäußerung nehmen sollte. Zuerst waren es nur einzelne, und ich dachte noch: Oh, ich habe einen wunden Punkt getroffen.

Mit der Zeit mehrten sich solche Äußerungen allerdings. Die Reaktionen richteten sich nicht mehr nur gegen meine frei geäußerte Meinung, sie zielten ganz direkt gegen meine Person. Wurden zu Unterstellungen und Mutmaßungen über mich, mein Leben und meine Ansichten.

Ich war – noch einmal an diesem Tag – zutiefst geschockt.

Geschockt über die Oberflächlichkeit, mit der vor allem andere Menschen mit Behinderung mir gegenüber traten. Egal in welchem sozialen Netzwerk ich mich täglich aufhalte, egal wann und wo ich mich mit anderen Menschen mit Behinderung unterhalte, häufigster Kritikpunkt derjenigen mit Behinderung an den Nichtbehinderten ist ihre Oberflächlichkeit und Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen. Die häufigste Reaktion der Menschen mit Behinderung auf meinen Beitrag lautet in etwa: Ich verstehe deinen Beitrag nicht. Ist doch egal, ob das Foto gut aussieht oder nicht.
Auch beliebt: Inklu-was? Wovon redest du? Können wir Probleme tauschen?

Ich frage diese Menschen mit Behinderung: Benehmt ihr euch wirklich anders?

Ebenso gern wird in der Behindertenszene argumentiert mit dem Egoismus der Nichtbehinderten. „Die denken nur an sich!“ und „Ist doch alles pseudo-sozial!“ sind nur zwei meiner persönlichen Wir Behinderte sind so arm dran-Dauerbrenner. 99 % der Menschen mit Behinderung, die meine frei geäußerte Meinung und/oder meine Person strikt ablehnen, argumentieren in ihren Reaktionen mit Formulierungen wie: „In meinem Fall brauche ich den Ausweis fast gar nicht.“ oder „Ich habe eh keinen Ausweis, also interessiert es mich nicht.“ oder „Mich stört es nicht. Warum also so ein Fass aufmachen?“ oder „Ich bin froh, dass ich überhaupt Vorteile habe durch den Ausweis. Alles andere juckt mich doch nicht.“

Ich frage diese Menschen mit Behinderung: Benehmt ihr euch wirklich anders?

Das am häufigsten vorgebrachte Argument der Menschen ohne Behinderung gegen meinen Beitrag ist: Wir Menschen mit Behinderung sollten froh sein, einfach nur den Schwerbehindertenausweis vorzeigen zu müssen (um Vergünstigungen zu bekommen).

Der Großteil der nichtbehinderten Menschen in meinem Umfeld kehrt häufig vom Supermarkt zurück mit den Worten: „Oh Mann, ich musste schon wieder meinen Personalausweis an der Kasse vorzeigen. Sieht man doch, dass ich alt genug bin, um Alkohol und Zigaretten zu kaufen! Die sollen sich mal nicht so anstellen.“ Auch sehr beliebt ist die Aussage: „Die (an der Kasse) kapieren es aber auch nicht. Ich gehe da mehrmals die Woche hin, und trotzdem wollen die immer meinen Ausweis sehen.“

Diese Menschen ohne Behinderung frage ich: Seid ihr es denn?

Auf beiden Seiten für Aufruhr gesorgt hat mein persönlicher Gedanke beim ersten Anblick des neuen Ausweises: „Leben wir in 2015 oder 1945?“

Ich habe es nun mehrmals ausdrücklich betont, verdeutliche es aber gerne noch einmal: Ich äußere frei meine persönliche Meinung und meine persönlichen Gedanken. Das heißt, ich spreche für mich. Keinesfalls maße ich es mir an, für alle Menschen mit Behinderung zu sprechen, respektive zu schreiben. Am Ende meines Beitrags vom 05.01.2015 wechsle ich vom Ich zum Wir, da ich einen allgemeinen Vergleich anstelle, der einerseits auf dem in unserer Gesellschaft üblichen Sprachgebrauch und andererseits auf meinen persönlichen Erfahrungen und meinem persönlichen Umgang mit anderen Menschen mit Behinderung beruht.

Mir ist bewusst, dass der gebrachte Vergleich drastisch ist, zumal ich das Regime der Nationalsozialisten nicht persönlich miterlebt habe und daher nur aus Gelerntem und von Zeitzeugen Erlebten schöpfen kann. Jedem, der die in dieser Zeit erfolgte Grausamkeit am eigenen Leib spüren musste, möchte ich meinen tiefsten Respekt aussprechen und betonen, dass ich meine Erlebnisse und Empfindungen keineswegs mit den seinen gleichstellen möchte.

Es handelt sich lediglich um meinen persönlichen allerersten Gedanken beim Anblick des Ausweises, eine Assoziation aus dem Bauch heraus. Ich kann und möchte meine innersten Gedanken und ihren Ursprung weder erklären noch rechtfertigen. Ich möchte aber in einem weiteren Beitrag mein Bestes geben, diese Gedanken näher zu erläutern und so zu verdeutlichen, warum ich den Vergleich auch später, beim Schreiben des Blogbeitrages vom 05.01.2015, beibehalten habe, nach wie vor für eine Überarbeitung des neuen Schwerbehindertenausweises plädiere und meinen öffentlichen Aufruf an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Arbeitsgruppe des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention aufrecht erhalte.

“Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin.” – Indianisches Sprichwort


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